Nein, ich liebe mein Velo nicht.

«Du bist ein Autohasser, oder?» fragte mich vor Jahren eine flüchtige Bekannte, ihre Stimme war leicht gereizt und gleichzeitig etwas empört. Am Rand der Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes hatten wir uns in einer kleinen Gruppe über Mobilität unterhalten. Elektroauto-Hype, Flugscham, Uber und so weiter. Ich hatte die Vorzüge des Velos gepriesen, war damit aber in der Minderheit, genauer gesagt, alleine, weshalb ich umso heftiger pries. Irgendwann verstieg sich jemand zur Aussage, ein Leben ohne Auto möge ja ganz in Ordnung sein für Studenten oder Aussteiger, aber für berufstätige Menschen schlicht unmöglich, gar nicht zu reden von Familien mit Kindern. An diesem Punkt fühlte ich mich herausgefordert, denn wir lebten zu der Zeit schon mit unseren drei Kindern auf dem Land, ohne ein Auto zu besitzen. Ich erwähnte das natürlich, machte das Auto etwas mehr herunter, beklagte mich über Lärm und Gestank und Platzverschwendung, bis besagte Person eben besagte Frage stellte.

Moderne Mobilität: 10 m2 Strassenfläche pro Person

«Natürlich bin ich kein Autohasser!» antwortete ich voller Überzeugung. Das schien mir aber niemand zu glauben, also doppelte ich nach: «Autos sind Dinge, und Dinge kann man doch gar nicht hassen! Genauso wenig, wie ich umgekehrt meine Velos liebe!» Augenbrauen gingen hoch. Ich glaube, jemand kicherte an der Stelle oder versuchte zumindest, ein Kichern zu unterdrücken. Doch ich war mir sicher: ich habe grosse Freude an Velos und verbringe so viel Zeit mit ihnen, wie ich nur kann, und sie verhelfen mir zu grossartigen Erlebnissen. Aber ich liebe meine Frau, meine Kinder, meinetwegen unsere Katze. Meine Velos, die bedeuten mir einfach viel. Sehr viel: Als mir mein (fast hätte ich geschrieben «geliebtes»!) bordeauxrotes Hollandrad vor Jahrzehnten aus einem Hinterhof in Zürich gestohlen wurde, war ich am Boden zerstört. Mehrere schlaflose Nächte lang erging ich mich in furchtbaren Gewaltphantasien, während ich mir vorstellte, was ich mit dem Dieb anstellen würde, wenn ich nur könnte. Aber lieben tu ich Velos nicht. Und folglich hasse ich keine Autos.

Arme, eingesperrte Velos

Mit schöner Regelmässigkeit kommen mir allerdings Zweifel an dieser Überzeugung. Wenn ich ein Auto mit röhrendem Motor die Grabenstrasse runterbrettern sehe und nichts anderes mehr höre. Oder wenn ich auf dem Weg zur Dorfbäckerei und zurück – dreihundert Meter pro Weg – dreimal demselben Auto begegne. Wenn ich neben einer geparkten Limousine stehe und nicht über sie hinwegsehe, weil sie so unglaublich gross ist. Und zuverlässig jedes Mal, wenn es im Dezember fünfzehn Grad warm ist vor der Haustüre. In solchen Momenten bin ich jeweils ganz kurz und heimlich ein richtig fieser Autohasser. Aber nur ganz kurz. Dann steige ich auf mein Velo, rolle los und liebe es doch, mein Velo. Und wie.

Dies ist ein Gastbeitrag von Paul Tamburin von velopflock.ch.