Du bist nicht allein!

Nein, das bist du nicht, denn als Velofahrerin oder Velofahrer musst du das bisschen Strasse auch noch mit vielen anderen teilen, die auch irgendwo hinwollen, und zwar wenn möglich schneller als du. Du bist aber auch nicht allein, weil es ganz viele andere gibt wie dich, und die helfen dir alle! Aber der Reihe nach.

Als ich kürzlich auf meinem Velo durch ein Dorf fuhr, stand dort eine Frau an einem Fussgängerstreifen und wartete darauf, die Strasse überqueren zu können. Ich hielt selbstredend an. Erstaunt blickte sie auf, lächelte mich freundlich an und marschierte los. „Einen schönen Abend!“ sagte sie. „Gleichfalls“, antwortete ich, worauf sie, bereits über ihre Schulter, noch hinzufügte: „Und danke fürs Warten!“ „Bitte!“, antwortete ich ein wenig verlegen ob ihrer Dankbarkeit.

Eine schlagfertigere Person hätte an meiner Stelle rufen können, es wäre da nichts zu danken, denn das Gesetz gebiete mir schliesslich, einer am Fussgängerstreifen wartenden Person den Vortritt zu gewähren, und hätte ergänzen können „…und die Höflichkeit sowieso!“ Schlagunfertig wie ich aber bin, habe ich nichts dergleichen gesagt und bin meines Weges gefahren. Und weil es sich bei Bewegung an der frischen Luft am besten denkt, dachte ich eine Weile über die Begegnung nach.

Offenbar war es für die Frau ganz und gar ungewöhnlich gewesen, an einem Fussgängerstreifen zu ihrem Recht und Vortritt zu kommen. Sonst hätte sie sich nicht so freundlich bedankt. Andererseits, hoffte ich, war ihr diese Begegnung ebenso gut in Erinnerung geblieben wie mir. Im besten Fall hat sie sich gedacht, dass es doch noch Anstand und Ordnung gibt auf der Strasse, zumindest hin und wieder. Ich verstieg mich zu der Hoffnung, dass sie seither besser über Velofahrerinnen und -fahrer denkt. Und das, beschloss ich, war dann doch sogar der allerbeste aller denkbaren Fälle.

Denn es ist doch so: wer negative Erfahrungen mit einer anderen Person macht, welche offensichtlich zu einer bestimmten Gruppe gehört, entwickelt eine negative Haltung gleich gegen die ganze Gruppe statt nur gegen das Individuum. Das ist zwar ein schwerer logischer Fehler, aber ein verbreitetes Phänomen, für das es bestimmt einen Fachbegriff gibt. Landläufig wird es als Sippenhaft bezeichnet. Und Personen, die Velo fahren, müssen sich bewusst sein, dass sie sich in Sippenhaft befinden. Wer auf einem Velo sitzt, ist nämlich unschwer und auf einen Blick als Velofahrerin zu erkennen.

Das ist gravierend: wer sich beim Velofahren daneben benimmt, zieht alle anderen Velofahrenden in den Dreck. Du hast heute einem Stadtbus den Weg abgeschnitten? Morgen fährt er knapp vor mir in den Kreisel! Du hast mal einem Auto, das dich an den Randstein drängte, mit der Hand aufs Dach geklopft? Das könnte erklären, warum kürzlich mein Hinterrad ganz ohne Luft war. Und falls sich dir morgen beim Mountainbiken ein Wanderer in den Weg stellt, ist das möglicherweise der, den ich letzte Woche hinter der flowigen Kurve einfach zu spät gesehen habe – dumm gelaufen!

Schlechte Erfahrungen mit Angehörigen einer Gruppe können deren Ansehen nachhaltig ruinieren. Das müsste aber doch auch umgekehrt funktionieren! Wie – möglicherweise – bei der eingangs erwähnten Dame: Sie hat sich über meine Höflichkeit gefreut, und plötzlich sind ihr alle Personen auf Velos ein bisschen sympathischer. Und das könnte durchaus so weiter gehen: Mit jeder Wandergruppe, der ich auf dem Pfad Platz mache, mit jeder Autofahrerin, die ich im Kreisel grüsse, und mit jedem Fussgänger, den in ich der Tempo 30-Zone über die Strasse lasse, verbessere ich das Image aller Velofahrenden. Damit äufne ich sozusagen einen eigentlichen Sippenbonus und verbessere das Image aller Velofahrenden in der Gesellschaft. Und, Hand aufs Herz: mir kommt es vor, als ob wir das nötig hätten. Das zeigt eindrücklich das Beispiel des Velofahrers M.L., der den üblen Ruf der Velofahrer sogar vollständig verinnerlicht hat. Der arme Kerl findet das ganze Velogesocks – inklusive, wenn ich alles recht verstehe, sich selbst – nun wirklich das Letzte und spricht sich für drakonische Massnahmen aus (aus den Online-Kommentaren zu einem Artikel im «Tagesanzeiger» über den stadtzürcherischen Veloverkehr):

Recht so! Gebt den Lumpen Saures! Mich würde aber noch interessieren, was ein Selbst-Radfahrer genau ist. Vielleicht jemand, der selbst fährt, weil sein Velo keinen Motor hat? Noch faszinierender fände ich die Frage, ob es dann auch Fremd-Radfahrer gibt. Würde damit ein Velodieb bezeichnet? Oder eine Art Android, der fern- und darum fremdgesteuert durch den Innenstadtverkehr kurvt? Durchaus eine interessante Vorstellung. Vorausgesetzt, er ist auf komplette Rücksichtnahme und dauergrinsende Freundlichkeit programmiert. Dann haben wir alle was davon.

Gastbeitrag von Peter Oberholzer, Pro Velo-Mitglied aus Tamins

1 Kommentar
  1. Elfi sagte:

    Hoi Peter
    Mit grossem Vergnügen habe ich deinen Artikel gelesen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich genickt habe!
    Es ist schon so, es hängt auch von uns VelofahrerInnen ab, wie wir in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.
    LG Elfi

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